Ausriss: Die Zeit

Nicht unser Bier!


Kotze im Garten, Pisse im Briefkasten und ein alter Mann, der Eheringen sucht – Mal­lor­qui­nische Begegnungen. YOLO!

Die Zeit - August 2014
(Link)



Wenn Manuela morgens die grün-weiße Markise ihres Blumenladens in der Carretera Militar hervorkurbelt, hat sie bereits Burgerkartons und Servietten aus den Rosen ihres Vorgartens gepflückt und die eingetrocknete Kotze der vergangenen Nacht vom Hauseingang in den Rinnstein gespült. Seit über sechzig Jahren wohnt die Floristin in El Arenal, dem Partyzentrum von Palma de Mallorca. Hinter ihrem Geschäft drängen sich die Touristen in den Zwei-Sterne-Hotels mit Cocktails am Pool, vor ihrem Laden erstreckt sich die Promenade mit den Strandlokalen. Neulich haben sie ihr wieder auf dem Nachhauseweg vom Bierkönig in den Briefkasten gepisst. „Warum machen die das?“, fragt sie und blickt durch ihr Schaufenster auf ein Grüppchen Jugendlicher, deren Anführer eine Bassbox auf Rollen hinter sich herzieht. Auf seinem Muscle-Shirt steht: „You only live once“.

Wer an der Playa de Palma Urlaub macht, betritt die Insel in einer möglichst großen Gruppe mit bedruckten T-Shirts und verlässt sie mit Sonnenbrand, Schlafdefizit und Speicherkarten voller Saufbilder. Voraussetzung für den Spaß ist der Pegel. Dazu zwitschert man morgens auf dem Weg zum Strand das erste Bier, und von da an geht die Stimmung steil bergauf. Zum Leidwesen vieler, die hier wohnen. Um der Lage Herr zu werden, hat der Stadtrat von Palma de Mallorca einen Vorschriftenkatalog „für das bürgerliche Zusammenleben“ erlassen. Seit Juni dieses Jahres regeln die 113 Verbote der Ordenanza Cívica, was andernorts der gesunde Menschenverstand übernimmt.

Untersagt sind etwa das Urinieren in der Öffentlichkeit und Massenschlägereien. Aber auch, wer vom Balkon in den Pool springt oder auf dem Gehweg Rad fährt, kann Ärger bekommen. Selbst das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit ist verboten, wenn sich andere davon gestört fühlen. Jedes Vergehen hat seinen Preis: Musik am Strand oder Bikini in der Stadt 50 Euro, Saufgelage oder Anbandeln mit Prostituierten 200 Euro, Angebote zum Hütchenspielen 400 Euro. Wer sofort und bar bezahlt, bekommt 50 Prozent Rabatt, wer frech wird, einen Aufschlag.

Die Verbote gelten nur für das Gemeindegebiet der Inselhauptstadt, nicht aber für jenen Strandabschnitt im Südosten, der schon zum Ort Llucmajor gehört. Die Partymeute, war kürzlich zu lesen, ziehe daher in die Nachbargemeinde, um dort straffrei zechen zu können. An Palmas Strandpromenade, an der sich bislang jährlich 600.000 Urlauber drängten, sieht es heute Mittag nicht leerer aus als sonst. „Feiern kann man nicht verbieten“, sagt Uli aus Tauberbischofsheim. Er sitzt am Strand vor dem Balneario 6, dem Ballermann. Seine Stimme ist noch rau von gestern Nacht. Er war mit seinen Kollegen unterwegs. Die Texte von Mallorca-Schlagern kann man sofort mitgrölen, und auch noch sturzbetrunken. Wer bis zum zehnten Bier singt, kriegt aber am nächsten Tag die Quittung dafür. „Ballermann ist Ausnahmezustand“, sagt Uli. Im Alltag reiße er sich ständig zusammen, mache sich für die Firma krumm, zahle seine Steuern – da werde er doch wohl einmal im Jahr ein bisschen Spaß haben dürfen, zusammen mit den Jungs. Einen draufmachen mit Hits von Jürgen Drews und Mickie Krause, Zigeunerschnitzel und Mettbrötchen im Deutschen Eck und jeder Menge Sonne.

Von den neuen Regeln hat er gestern erfahren, als ihm zwei Polizisten die Bierflaschen am Strand wegnahmen und dafür auch noch Geld verlangten. Uli kooperierte und zog 25 Euro aus seiner DFB-Bauchtasche. Heute trinkt neben ihm eine Männergruppe Pils, aus ihrer Anlage dröhnt Schlagermusik. Weit herumgesprochen hat sich die Kunde von den Benimmvorschriften noch nicht.

Eigentlich sollten die Hoteliers ihre Gäste über die neuen Sitten aufklären. Doch fragt man im Hotel Aya an der Strandpromenade nach Informationen, wird man an die Polizei verwiesen – und die verweist auf ein unscheinbares Plakat an einer Bushaltestelle in einer fernen Seitenstraße. Es erklärt in vier Sprachen und mit ein paar Bildern die wichtigsten Regeln. Der deutsche Titel des Aushangs lautet: „Nebeneinander koexistieren bedeutet respekt“. Das trifft nicht ganz den Ton seiner Adressaten. Und so haben die meisten Urlauber weder Kenntnis von der neuen Gesetzeslage noch Pläne, gen Llucmajor abzuwandern.

Jockel, der am Ballermann den Saisonabschluss seines Köpenicker Fußballclubs feiert, leert seine Bierflasche und öffnet die nächste. Wenn er mit Frau und Kindern Urlaub macht, fährt er an die Ostküste Mallorcas, weit weg vom Ballermann. Dann heißt er Jörg und nicht Jockel und trinkt zum Frühstück Orangensaft statt Bier. „Aber was du am Ballermann erlebst, kannst du bloß steif ertragen.“ Die neuen Regeln sind ihm egal, sagt er: „Wenn ein Polizist kommt, werde ich dem schon erklären, dass ich ein guter Deutscher bin, der seinen Müll aufräumt.“ Scherben am Strand, die gebe es mit ihm nicht. „Wichtig ist, dass der Spaß harmlos bleibt.“ Klar, räumt Jockel ein, manchmal schlügen Einzelne über die Stränge, wie am Wochenende, als Dresdner Hooligans andere Urlauber mit Stöcken und Steinen über die Schinkenstraße gejagt hätten. „Aber eigentlich ist alles easy hier.“

Die Polizisten auf der Straße erzählen eine andere Geschichte: von Besoffenen, die sich jede Nacht die Köpfe blutig schlagen. Doch um die neuen Verbote gegen die Touristenmassen durchzusetzen, brauchte es mehr als die 15 Polizisten, die momentan pro Schicht für sechs Kilometer Strand plus Wohngebiet zuständig sind.

Das gilt erst recht für die Abende. Wenn über Mallorca der Himmel zu glühen beginnt, feiner Dunst den Horizont weich zeichnet und die Pinien ihr tief zufriedenes Grün zeigen – dann dreht der Ballermann richtig auf. Dann sind Jockel, Uli und all die anderen frisch geduscht, haben sich am Hotelbüfett gestärkt und dürsten nach Action. Weil die Drinks in den Clubs teuer sind, kaufen sie sich billigen Sprit in Eimern im Supermarkt um die Ecke. Eigentlich ist auch das botellón, das Eimersaufen, seit Juni verboten, doch jeder Kiosk verkauft den Stoff. Auch nach Sonnenuntergang sieht es an der Promenade aus wie immer: Laute, deutsche Gruppen mit langen, bunten Strohhalmen und je einem Eimerchen. Dazwischen putzt ein alter Mann mit lederner Glatze seinen Metalldetektor, mit dem er heute Nacht wieder nach eilig abgestreiften Eheringen und im Liebestaumel verlorenen Handys suchen wird.

„Das ist doch alles hier nicht mehr normal“, sagt Walli aus Osnabrück. Seit über 30 Jahren wohnt sie schon in El Arenal und spricht inzwischen fließend Katalanisch. Früher hat sie hier eine Kneipe geführt. Klar sei schon damals Remmidemmi und ordentlich was los gewesen auf der Piste, aber Massenschlägereien und Eimersaufen und dieses laute Bummbumm am Strand, das habe es nicht gegeben. Das brachten erst die Neunziger. Namentlich der Film Ballermann 6 und die RTL-Teams, die über den Strand herfielen und Jugendlichen 20 Mark zusteckten, damit sie sich vor der Kamera zum Affen machten.

Ein Uhr nachts. Spätestens jetzt, wenn die Bars im Freien keine Musik mehr spielen dürfen, verlagert sich die Party hinter die Schallschutztüren der Clubs. An den Strand geht um diese Zeit nur noch, wer Sex haben will oder pinkeln muss. Da beides nicht lange dauert, liegt die Playa de Palma um einiges friedlicher da als am Tage.

Erst am Morgen kommt noch einmal etwas Bewegung auf, als die Kneipen und Clubs um sechs Uhr für ihre einstündige Sperrstunde schließen. An der Promenade sind ein paar Heisere in Wortgefechte verstrickt, deren Auslöser sie nicht mehr kennen, ein Arbeiter schweißt eine abgerissene Balustrade, und zwei Männer von der Stadtreinigung treiben mit Laubbläsern die Spuren der Nacht zu staubigen Haufen zusammen. Auf einem Laternenmast pappt ein Aufkleber mit der Aufschrift „Fick dich, hier regiert Dresden“.

Ein paar ältere Damen führen ihre Hündchen aus und betrachten den frisch geharkten Sand. Viel Zeit haben sie nicht, bald schon werden die ersten mit ihren Flaschen und Eimern kommen. Manuela aus dem Blumenladen kurbelt dann wieder ihre Markise hervor und sieht nach, was die Urlauber ihr diesmal im Vorgarten hinterlassen haben. „Jedes Jahr versprechen uns die Politiker, härter durchzugreifen, aber nichts ändert sich“, sagt sie. Vor der Ordenanza Cívica gab es andere Vorschriften, in den Jahren 2003, 2004, 2011 und 2012. „Nur Gott kann uns noch helfen“, sagt Manuela. Doch daran glaubt sie nicht.

︎