Halleluja auf der Achterbahn
Zwischen Riesenrad und Geisterbahn führen zwei echte Diakone eine Kirche. Ihre Gemeinde ist der Europa-Park. Sie sind sie Teil einer Inszenierung – und meinen es doch ernst.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - Mai 2011
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Über dem Altar hängt ein hölzernes Abbild vom Sohne Gottes; auf dem Altar steht ein schwarz-weißes Lichtbild vom Vater des Europa-Parks, dem kürzlich verstorbenen Franz Mack. Gemeinsam blicken sie auf die Kapelle, in der gleich Bernardo und Yaisha getauft werden. Im Hintergrund donnert eine Achterbahn – die Kapelle steht im Europa-Park-Hotel Santa Isabel. Das Personal trägt Mönchskutten; vom Flachbildschirm in der Lobby winkt die Euromaus; Bernardo weint.
Andreas Wilhelm, der katholische Diakon, tippt sein Smartphone stumm und betritt die Kapelle, die mit ihren drei Bankreihen kaum größer ist als die finnische Sauna im fünften Stock des Hotels. Er legt das Porträt des Gründervaters samt Trauerflor in eine Schublade. Heute wird gefeiert, eine Taufe soll fröhlich sein.
„Lebe deinen Traum“, war das Motto von Franz Mack. Diakon Wilhelm und seinem evangelischen Kollegen Lampeitl gefällt das Credo des Parkgründers. Im Namen des Europa-Parks – und natürlich im Namen Gottes – taufen und vermählen sie Besucher, beten und erzählen mit ihnen oder hören einfach zu. 50 Hochzeiten und 15 Taufen machen sie im Jahr.
„Wir wollen hier keinen Las-Vegas-Effekt“, sagt Andreas Wilhelm über seine Arbeit im beliebtesten Tourismus-Ziel Deutschlands – nach dem Kölner Dom. Er hat seine Arbeitskleidung angelegt: purpurne Stola auf weißem Umhang.
Die Taufgesellschaft betritt die Kapelle mit einem großen Schritt, um nicht über die Türschwelle zu stolpern, die extra hinderlich angebracht wurde, damit Bräutigame ihre Bräute darüber tragen können. Das soll Glück bringen. Bernardo, der Täufling, weint noch immer.
Martin Lampeitl, der evangelische Diakon, sitzt neben Wilhelm und spielt Gitarre. Er trägt zivil. Der graue Kaschmir-Pullover versteckt eine Krawatte; ein Ansteck-schild verrät seinen Namen und, dass er Deutsch und Englisch spricht. In seiner Jugend hat er im schwäbischen Reutlingen das autonome Jugendzentrum Zelle gegründet. Heute spielt er versunken zum Einlauf der Taufgesellschaft.
Wilhelm, der ehemalige Militärseelsorger, unterhält währenddessen die Gesellschaft mit der professionellen Gutgelauntheit eines Volksmusikmoderators. „Grüezie“, begrüßt er die Schweizer Großeltern von Bernardo und Yaisha, die aus Bern angereist sind. Eigentlich hatten sie den Schweizer Zirkuspfarrer Ernst Heller gebucht, doch der war verhindert und Wilhelm sprang ein.
Die Kinder sind ein Jahr alt. Ihre Väter sind Unternehmer, die Mütter ehemalige Schönheitsköniginnen aus Brasilien und der Dominikanischen Republik. Yaisha trägt ein weißes Kleid und Bernardo einen schwarzen Anzug, mit dem er auf dem Schoß seines Vaters aussieht wie eine Bauchrednerpuppe. Beide Paare sind unverheiratet. „Aber das kommt noch, haben sie mir versprochen“, beteuert Wilhelm. Die Väter sind dicke Freunde. Bernardo weint noch immer.
Diakon Wilhelm reicht ihm ein Lamm aus dem Krippenspiel, der Junge zerrt an den Filzbeinchen, sein Vater schaut gutmütig zu. Endlich sitzen alle eng beisammen, und Lampeitl stimmt die Hymne an: „Halli, hallo, jetzt geht es los. Herzlich willkommen im Europa-Park.“ Wilhelm wippt im Takt und schürzt glücklich die Lippen, als degustiere er einen edlen Messwein.
Die beiden könnten Entertainer in einer Europa-Park-Show sein – doch genau das wollen sie nicht. Sie wollen nicht sein wie ihre Kollegin, die Euromaus, die bereits seit fünf Stunden auf den Beinen ist und hohle Heiterkeit versprüht. Deshalb stehen sie auch nicht auf der Gehaltsliste des Parks, sondern werden für die halbe Stelle von ihren Kirchen bezahlt.
Für Wilhelm ist das eine Winwin-Situation. Für den Park schaffen sie „emotionale Momente“ und damit etwas, an das sich die Besucher erinnern werden; für ihre Kirchen fangen sie versprengte Schäfchen ein. Lampeitl nennt sie „die treuen Kirchenfernen“.
Die beiden sind ein bewährtes Team: Zehn Jahre waren sie zusammen Seelsorger im Herzzentrum Lahr. Das hat sie über konfessionellen Zwist erhaben gemacht. „Wer so eine Station gemeinsam erlebt hat, den interessiert das nicht mehr“, sagt Lampeitl.
„Theologisch niederschwellig“, nennt Wilhelm seine Botschaften im Europa-Park und meint damit, dass Gott auch im Banalen wohnt. Es müsse für ihn nicht immer schwere Predigt sein, ein kleiner Plausch wirke auf ganz anderem Wege. Im geschlossenen Kosmos des Parks sei er von der gesteigerten Offenheit und Tiefe im Gespräch mit Fremden fasziniert. Da setzt er an. Er will Impulse geben, über den eigenen Glauben nachzudenken, einen neuen Zugang zu Gott zu finden. „Ich möchte wie Sauerteig wirken“, sagt Wilhelm. Er trägt einen Ehering und eine goldene Uhr, die Gläser seiner randlosen Brille färben sich braun in der Sonne. In ihrem Zweiergespann gilt er als der Stratege.
Martin Lampeitl ist „der Narr Gottes – im Sinne Voltaires“. Wie Wilhelm hat der evangelische Diakon einen doppelten Auftrag: Eine Wochenhälfte lehrt er Sterbebegleitung in einem Altenpflegeheim, die andere verbringt er im Park. „Warum ich das hier mache? Weil ich Überzeugungstäter bin.“ Im Gespräch stellt er sich die Fragen gerne selbst. „Wo meine Grenze ist? Bei Halloween, das wird’s mit mir nicht geben.“
Dass er im Europa-Park arbeitet, ist für ihn Bestimmung. Am liebsten würde er für immer bleiben, doch er weiß, dass jederzeit ein neuer Auftrag kommen kann, und dann muss er weiterziehen. „Gemeinsam mit Andreas Wilhelm? Keine Ahnung.“
In der Kapelle hat Diakon Wilhelm wieder das Wort ergriffen. Als er Yaisha das Kreuz auf die Stirn malt, beginnt ein paar hundert Meter weiter die Show Bamboe Baai „mit atemberaubender Akrobatik“. Kaum etwas trennt die Taufe von den Attraktionen hinter dem Hotel – so perfekt ist sie durchchoreografiert, so kleinlich ist jede rituelle Länge gestrafft, so kind- und elterngerecht ihr Ablauf. Nur die ehrliche Absicht der Theologen erhebt das Event zum Sakrament.
Für das Erinnerungsfoto stützt sich Yaishas Opa mit einem Fuß auf die Kirchenbank, der Rest drängt sich um die Kinder. Mittendrin steht Wilhelm und strahlt mit dem Heiligenschein der Mutter Gottes um die Wette.
So steht er noch, als vor der Tür bereits die Sektkorken knallen und nur ein einsames Mütterchen den letzten Kappellenwinkel fotografiert. Neben ihm sitzt Martin Lampeitl, der wie das Orchester der sinkenden Titanic mit ruhiger Miene bis zur letzten Sekunde spielt. Seine jazzigen Septakkorde schweben über die Türschwelle in die Lobby.
Bernardo hat aufgehört zu weinen.
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